Rundgang
zu Orten
jüdischen Lebens
in Bergen-Enkheim
Internetausgabe des Artikels
von Edith Haase, veröffentlicht in:
Initiative Stolpersteine Frankfurt
am Main (Hrsg.): Stolpersteine in
Frankfurt am Main. Band 2 Zehn
Rundgänge, Frankfurt am Mian 2018,
Seite 10 - 27.
Die Neuerstellung des Stadtplans
und die Fotos der Häuser, zu denen
der Rundgang führt, stammen von
Ewald Wirth.
OpenStreetMap, registrierte Mitgliedschaft: Ewald Wirth
Initiative Stolpersteine Bergen-Enkheim
Frankfurt am Main
Bergen war bis zum 6. November 1936 der
Name der Gemeinde Bergen-Enkheim, die seit
dem 1. Januar 1977 den Stadtteil Bergen-
Enkheim der Stadt Frankfurt am Main bildet. Bis zur Zeit
des Nationalsozialismus gab es eine Jüdische Gemeinde in
Bergen, die bis ins Mittelalter zurückreicht, wie die
Erwähnung eines gewissen Moyses von Enkheim von 1331
mutmaßen lässt. Zahleiche jüdische Wohn- und
Geschäftshäuser in der Marktstraße und den anliegenden
Seitenstraßen führten dazu, dass die Marktstraße im
Volksmund „Judenzeil“ genannt wurde.
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Der Arzt Dr. Rudolf FREUDENBERGER konnte mit
seiner Familie im September L938 aus
Deutschland fliehen. Er wurde 1893 in Memmelsdorf in
Unterfranken geboren, besuchte das Humanistische
Gymnasium in Bamberg und schloss sein Medizin-
studium in Würzburg 1920 mit der Promotion ab. Mit
seiner Ehefrau Amalie Adler, die 1895 in Heubach
geboren wurde, zog er 192L nach Bergen, wo er als
praktischer Arzt zunächst in der Marktstraße 68 und
später in der Steingasse 30, heute Röhrborngasse, Privat-
und Kassenpatienten behandelte. Das Ehepaar hatte drei
Kinder: Joachim und das Zwillingspaar Josef und Bertel-
Maria, die 1924 und 1928 geboren wurden.
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JOHANNA HIRSCH wurde 1887 in Bergen als
Tochter des Spirituosen-Kaufmanns Moritz Hirsch
und dessen erster Frau Mina, geb. Grünebaum, geboren.
Moritz Hirsch war in zweiter Ehe mit Betty, geb. Reis,
verheiratet, mit der er einen Sohn, Otto, hatte, der 1901
geboren wurde. Moritz Hirsch verzog 1939 nach Frankfurt
in die Wöhlerstraße. Johanna Hirsch und ihr Halbbruder
OTTO wurden am 5. September 7942 nach Theresienstadt
und am 21. Januar 1943 nach Auschwitz verschleppt und
dort ermordet.
SOPHIE und EMIL LEVI wurden 1886 und 1881
geboren, sie hatten fünf Söhne und eine Tochter.
Zwei Söhne starben als Soldaten im Ersten Weltkrieg, die
anderen Kinder konnten später nach England, Südafrika
und Palästina fliehen. Emil Levi besuchte die Jüdische
Elementarschule in Bergen und absolvierte anschließend
eine Ausbildung zum Täschner. Von 1921 bis 1933 war er
Hausgewerbetreibender im Auftrag von Fabriken in
Offenbach und Frankfurt, die Damenhandtaschen und
Portemonnaies herstellten. Zeitweise beschäftigte er sechs
bis acht Mitarbeiterinnen. Sophie und Emil Levi wurden am
7. September 1942 nach Theresienstadt und von dort am
23. Januar 1943 nach Auschwitz verschleppt und ermordet.
Die Synagoge wurde im Pogrom am 10. November
1938 zerstört. Vor dem Haus Conrad-Weil-Gasse 5
erinnert eine Gedenktafel an das Gotteshaus. Sie wurde
1962 auf Initiative von Karl Wessendorft (1889-1978)
angebracht, der von 1923 bis zu seinem Tod evangelischer
Pfarrer in Bergen war, im Dritten Reich der „Bekennenden
Kirche“ angehörte und 1960 und 1961 eine als Beilage in
Bergen-Enkheimer Zeitung erschienene Broschüre mit dem
Titel „Unsere letzten jüdischen Mitbürger“ veröffentlichte.
Die Synagoge wurde am 12. Oktober 1854 auf dem
Gelände der ehemaligen Berger Reformierten Schule
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RAPHAEL RUDOLF wurde 1858 geboren und war
Schuhhändler. Er war in Bergen als der „Schuhheß“
oder auch „Gickel“ bekannt. Seine Frau JOHANNA HESS
stammt aus dem Kreis Dieburg. Das Ehepaar hatte fünf
Kinder, der älteste Sohn fiel im Ersten Weltkrieg, der
Zweitgeborene konnte nach Kuba entkommen, die Tochter
Rosa flüchtete nach New York. Der jüngste Sohn Julius war
Mitbegründer des Fußballvereins FSV 1910 Bergen und
starb wie sein Bruder als Soldat im Ersten Weltkrieg. Das
Haus der Familie Hess wurde am Tag des Pogroms schwer
getroffen und das Schuhhaus durch die SA geplündert.
Raphael Rudolf Hess nahm sich im Februar 1942 das
Leben. Seine Witwe Johanna lebte ab Juli 1942 im Haus der
Familie Ehrmann in der Röhrborngasse 28. Sie wurde am 5.
September 1942 nach Theresienstadt verschleppt, von wo
sie am 29. September nach Treblinka deportiert und dort
unmittelbar nach ihrer Ankunft in der Gaskammer
ermordet wurde.
Der 1890 in Bergen geborene Polstermeister und
Dekorateur WlLHELM HIRSCH und seine Frau
FRIEDA hatten drei Söhne: Heinrich, Walter Manfred und
JOACHIM. Seit November 1935 lebte hier auch Friedas
Mutter, die Witwe JETTCHEN Hirsch, aus Niederhofheim
(Taunus). Wilhelm Hirsch war Mitbegründer des
Fußballvereins FSV 1910 Bergen und der Ortsgruppe des
Roten Kreuzes, die 1911 gegründet wurde. Im Juni 1939
musste er sein Haus für 10.400 Reichsmark verkaufen.
Der 1922 geborene Sohn Heinrich gehörte zu der Gruppe
männlicher Berger Juden, die in der Pogromnacht
inhaftiert und am nächsten Tag nach Buchenwald
verschleppt wurden. Den beiden Söhnen
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MORITZ STRAUSS wurde 1884 in Groß-Karben als
Sohn des Schuhmachers Daniel Strauß geboren und
war Schreiner bei der Firma Heppenheimer in der Mainkur.
Er war in erster Ehe mit Rosine Altmeier verheiratet, die
1916 verstarb. Die Tochter Berthel aus dieser Ehe konnte in
die USA flüchten. Die zweite Ehefrau, EMMA STRAUSS, geb.
Nussbaum, wurde 1882 geboren. Ihr 1920 geborener Sohn
Ernst-David besuchte die Volksschule in Bergen und
anschließend das Philantropin in Frankfurt. Da er die
Absicht hatte, Nationalökonomie zu studieren, begann er
eine Lehre in der Internationalen Spedition Brach und
Rothenstein. Als diese jüdische Firma 1936 „arisiert“ wurde,
flüchtete er im Frühjahr 1937 in die USA.
Moritz Strauß nahm sich Ende Januar 1942 das Leben.
Emma Strauß wurde am 30. Mai 1942 über Hanau in das
Gestapo-Sammellager Kassel, von dort am 1. Juni in das
Vernichtungslager Sobibor verschleppt und nach der
Ankunft ermordet.
EMMA GRÜNEBAUM wurde 1875 geboren und war
mit dem Täschner Moritz Grünebaum verheiratet.
Er war Vorsitzender des noch heute angesehenen
Krankenpflegevereins „Schwesternheim zu Bergen“ 1893
e.V. und starb 1939. Der Sohn des Ehepaars, Feist, genannt
Fredy, starb 1933. Die Tochter BELLA GRÜNEBAUM wurde
1901 geboren, war Verkäuferin und lebte bis zum Oktober
1941 im Haus in der Marktstraße, bis sie mit ihrer Mutter
zwangsweise in das „Judenhaus“ in die Steingasse 28,
heute Röhrborngasse, umzog. Sie wurde am 30. Mai 1942
über Hanau in das Sammellager Kassel und von dort am 1.
Juni nach Sobibor verschleppt und ermordet. Ihre Mutter
wurde am 5. September 1942 nach Theresienstadt und
von dort nach Treblinka verschleppt und getötet.
Auf dem Grundstück Am Berger Spielhaus 10 soll
in den Jahren 1603/04 die erste Synagoge der
Jüdischen Gemeinde Bergens erbaut worden sein, die
dann durch einen der großen Brände im ersten Drittel des
17. Jahrhunderts vernichtet wurde. Es ist überliefert, dass
auf diesem Grundstück um 1722 eine „Judenschule“
erbaut wurde. Sie wurde bis 1844 als Schule mit einer
Wohnung für den Rabbiner und einem Betraum für die
Gemeinde genutzt. Im Jahr 1844 verlagerte die jüdische
Gemeinde ihre „Judenschule“ in das Gebäude in der
Rathausgasse 4, dem heutigen Berger Spielhaus 4, das bis
dahin von der Unierten Schule genutzt worden war. Die
Israelitische Gemeinde Bergen war die einzige in der
Umgebung Frankfurts, die bis in das 20. Jahrhundert
hinein eine eigenständige Elementarschule unterhielt, in
der profane und religiöse Fächer unterrichtet wurden.
Die ehemalige Synagoge in der Rathausgasse 4 im Jahr
1912/13, nach 1853 an eine christliche Familie verkauft
Foto: Courtesy of Leo Baeck Institute New York
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HERMANN HAHN wurde 1888, EMMA HAHN 1897
geboren. Hermann Hahn betrieb seit 1927 ein
Geschäft für Fette und Felle und ab 1933 eine
Mineralwasserhandlung. Ihre Wohnung wurde im Zuge des
November-Pogroms demoliert. Beide wurden am 5.
September 1942 nach Theresienstadt und von dort 1943
nach Auschwitz verschleppt. Ihrem einzigen Sohn gelang
1939 mit einem Kindertransport zunächst die Flucht nach
England und 1941 in die USA. Die Geschwister KLARA und
NATHAN HESS wurden 1883 und 1878 geboren und
hatten zwei weitere Brüder. Nathan Heß war Kaufmann.
Beide wurden am 5. September 1942 nach Sobibor
deportiert und ermordet, JETTCHEN HESS, geborene
Strauß, wurde 1942 nach Theresienstadt verschleppt, wo
sie am 20. November 1942 ums Leben kam.
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Das Heimatmuseum
ist eines der schön-
sten erhaltenen Fachwerk-
häuser der bäuerlichen
Spätrenaissance im Raum
Frankfurt. Sein Erdgeschoss
wurde um 1300 als „Spilhus“
in gotischem Stil errichtet,
der Dachreiter im Stil des
Barock zu Beginn des
18. Jahrhunderts. Das
ehemalige Rathaus fungiert
seit 1959 als Heimatmuseum.
Als Rathaus stellte es für die
Berger Juden zur Zeit des
Nationalsozialismus einen Ort der Erniedrigung dar. Sie
mussten sich vor den beiden „Sammeltransporten“ im Mai
und September 1942 nach der Benachrichtigung durch die
Ortspolizei im Rathaus melden. Von dort aus mussten sie,
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KAROLINE HAHN wurde 1858 in Groß-Karben
geboren. 1891 heiratete sie den Metzger Gustav
Hahn, Sie hatten zwei Töchter: Henny wurde 1893, Mina
1895 geboren. Henny heiratete 1913 den Täschner
Leopold Ehrmann. Für die beiden liegen Stolpersteine in
der Röhrborngasse 28. Von Karoline Hahn wird nach
Aussagen von Pfarrer Wessendorft berichtet, dass sie
noch in Bergen vor ihrer Verschleppung einen
Schlaganfall erlitten hatte und dass sie vor dem
„Sammeltransport“ am 5. September, gestützt und
geführt durch die alte Schuh-Hess, also die Witwe von
Raphael Rudolf Hess, vom Hanauer Bahnhof zum Zug
begleitet wurde. Sie wurde nach Theresienstadt
deportiert, wo sie am 13. Februar 1943 starb.
In dem Gebäude, in dem heute das Bürgeramt untergebracht
ist, befand sich von 1844 bis 1957 eine Volksschule. In
deren Schulhof wurden die während des November-Pogroms
1938 festgenommenen männlichen Berger Juden
versammelt, bevor sie im Gefängnis des Amtsgerichts
inhaftiert wurden. lm Sitzungszimmer in der ersten Etage ist
eine kleine Dauerausstellung über das Jüdische Leben in
Bergen-Enkheim eingerichtet, die montags bis freitags von
8.30 bis 13.00 Uhr besichtigt werden kann. Eine Anmeldung
ist bei der Kulturgesellschaft Bergen-Enkheim unter der
Rufnummer 069-212 41 240 möglich.
JULIUS STRAUSS wurde als Sohn des
Metzgermeisters Meier Strauß und dessen Ehefrau
Bettchen 1882 in Groß-Karben geboren. Er lebte seit 1908
in Bergen und war dort jahrelang Vorsitzender der
Synagoge und der Stiftung zur Unterhaltung des Alten
Friedhofs. Der Tuchwarenkaufmann hatte in dem Haus
Nr. 19, das ehemals die Nr. 140 trug, ein Herren-
bekleidungsgeschäft. 1908 heiratete er Tilla Toni Ehrmann,
die 1883 geborene Tochter des Metzgermeisters Hermann
Ehrmann und dessen Ehefrau Fanny aus der Steingasse
20, der heutigen Röhrborngasse. Im Ersten Weltkrieg
verlor Julius Strauß ein Auge. Er wurde 1916 mit dem
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Zwischen 1717 und 1722 entstand der alte jüdische
Friedhof zwischen den Hausgärten der heutigen
Straße Am Weißen Turm (ehemals Turmstraße) und dem
heutigen Ludwig-Kleemann-Weg (ehemals Kleemann-
straße). Der Friedhof befand sich außerhalb der alten
Befestigungsmauern. Es ist nicht überliefert, wann dort die
ersten Beerdigungen stattfanden, wohl aber, dass 1924 die
letzten erfolgten. Im Jahre 1925 wurde dann ein neuer
Friedhof angelegt, der in der Nähe der Berger Warte an
der Vilbeler Landstraße lag und bis in die späten 1930er
Jahre benutzt wurde.
Besichtigung des Friedhofs Am Weißen Turm durch
Anmeldung bei der Kulturgesellschaft Bergen-Enkheim,
Telefon: 069-212 412 40.
LEOPOLD EHRMANN wurde 1881 geboren. Er war
Täschner und im Berger Vereinsleben aktiv. Er war
Vorturner im Turnverein 1874 Bergen, Mitglied des
Gesangsvereins und Vorsitzender der Fechtriege des
Turnvereins, dessen Mitbegründer sein Vater war. Seine
Ehefrau HENNY EHRMANN wurde 1893 geboren und
war die Tochter des Metzgers Gustav Hahn und dessen
Frau Karoline. Ihre Tochter Fränze wurde 1914 geboren
und konnte mit ihrem Mann Richi Hirsch im August
1938 nach Dumont in die USA flüchten. Sie hieß später
Frances Hirsch.
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FRIDA und JENNY HAHN lebten bis 1939 in der
Röhrborngasse 1, ehemals Steingasse. Frieda Hahn
wurde 1903 geboren, einen Tag nach ihrer Geburt starb
ihre Mutter. Sie war Telefonistin und wahrscheinlich bei
der Post beschäftigt. Ihre Stiefschwester Jenny Hahn wurde
1905 geboren, die Mutter ist unbekannt. Am 30. Juni 1939
mussten sie zwangsweise in das Haus des Schuhhändlers
Raphael Rudolf Hess und dessen Frau Johanna in die
Schwindegasse 2, heute Am Michlersbrunnen, umziehen.
Frieda arbeitete ohne Entlohnung als Hausangestellte.
Sie konnte jedoch dort mit ihrem Vater Julius Hahn
(Jahrgang 1870) und der Stiefschwester kostenlos wohnen.
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Edith Haase: RUND UM DIE MARKTSTRASSE
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