Zeitzeuge - Ein Bericht von Kathrin Fuchs
5. Karl Wessendorft
Wer war der, nach dem eine Straße in Bergen-Enkheim benannt ist?
Wer war der, von dem noch heute Menschen hier vor Ort erzählen?
Wer war der, der in dunkler Zeit Lichter angezündet hat?
Karl Wessendorft war seit dem 1. Mai 1923 Pfarrer in Bergen und
von 1948-1959 zusätzlich Dekan für den Kirchenkreis Hanau - Stadt.
Er war Mitglied der Bekennenden Kirche und ihr Vertrauensmann im
Kreis Hanau.
Karl Wessendorft war und blieb als unerschrockener Christ und
leidenschaftlicher Pfarrer und Seelsorger mutiger Sachwalter
der Mitmenschlichkeit und politischen Unerschrockenheit –
auch in schwierigen Zeiten.
Zitate aus Würdigungen mögen dies belegen:
•
„In den Jahren der Nationalsozialisten zeigte er sich als ein
engagierter Christ zur bekennenden Kirche und kämpfte allem
Unbill zum Trotz gegen etliche Willkürmaßnahmen der Nazi-
Herrschaft. Vielen Verhören, Peinigungen und
Hausdurchsuchungen war Karl Wessendorft in diesen Jahren der
Nationalsozialisten ausgesetzt.“ (Bergen-Enkheimer Anzeiger,
21.6.1974, anlässlich seines 85. Geburtstags)
•
„Im Dritten Reich galt der Berger Pfarrer als konsequenter
Streiter für die christliche Idee“. (FAZ, 31.3.1978, zum Tod von
Karl Wessendorft)
Dekan Friedrich Wilhelm Schluckebier würdigte ihn in seiner
Traueransprache:
•
„Mitten in der Zeit des Kirchenkampfes, beleidigt von einem
Hanauer Pfarrer, denunziert und verhört von der Gestapo,
ausgestoßen aus der Reichsschrifttumskammer (…)“
Karl Wessendorft hat aus seinem Glauben an den
Auferstandenen „tiefe Kraft für seinen Mut, seine Furchtlosigkeit
und seinen herrlich-schlagfertigen Humor bezogen und
gewonnen. … Sein Glaube an den, der die Schlüssel der Hölle
und des Todes hat, ließ ihn tapfer und furchtlos an die Seite der
Mitbürger treten, die es schwer hatten, die politisch und rassisch
geächtet und gehetzt wurden. Sollte einmal Karl Wessendorfts
Biografie ausführlicher geschrieben werden, so müsste ein
ausführliches Kapitel dem Thema ´Kirche und Synagoge´ (1)
gewidmet werden. Jüdischen Mitbürgern gewährte er Hilfe und
Schutz nicht nur bei Nacht und Nebel, sondern auch bei Tag.
Viele leidende jüdische Mitbürger denken noch an ihn mit
lebenslangem Dank, denn er war ein ev. Christ und Pfarrer, der
ihnen in der Liebe des Heilands und mit tiefem Wissen und
Verstehen vom Weg und Glauben des Volkes Israel begegnete!“
Pfarrer Wessendorft sah schon früh die Anzeichen einer
schrecklichen Entwicklung in seiner Kirche und warnte in Briefen
an seine Kollegen, so z.B. am 18.4.1934: An alle Freunde des
Heidelberger Katechismus (2) in den Kirchenkreisen Hanau,
Gelnhausen und Schlüchtern:
•
„Der Heidelberger, recht verstanden und gelehrt in seinem
Führeramt zur Schrift hin, hätte uns in den vergangenen Zeiten
vor manchem bewahren können, dem wir zum Raube geworden
sind, und er kann es noch lange. Er bedeutet heute wieder ein
Panier in unserer Kirche. Und er ist ein solches, dessen wir uns
nicht zu schämen brauchen. (Wiewohl unser Fähnlein niemals
groß gewesen ist, und wir nicht darauf bauen, nachdem wir in
ALL unserm Trauen auf Fleisch in der Kirche zuschanden
geworden sind, sondern nur leben von dem, was das Wort uns
täglich darreicht.) (…) Liebe Brüder, nehmt mein Schreiben mit
auf Euer Gewissen. Ich habe mich nicht mit Fleisch und Blut
darüber besprochen. ´Es ist mir so´, als dränge es, wie wenn es
allerhöchste Zeit sei. Nicht als läge es an uns, eine ´Sache´ zu
´retten´; aber wir müssen ´da´ sein, ´zur Stelle´ sein,
bereitstehen. Tun wir das heute? Oder liegen wir marode und
verbindungslos aufgelöst hinter der Front? Ich bin nichts und will
nichts anders sein als ein Trompeter, der zum Sammeln bläst.“
Es gab aber auch Lichter in einer
dunklen Zeit
Diese Lichter zeugen von Menschlichkeit
inmitten einer unfassbaren Barbarei. Es sind
Berger Bürger, die den Mut hatten, gegen
den Strom zu schwimmen, ihre jüdischen
Mitbürger nicht im Stich zu lassen und im
Verborgenen Nachbarschaftshilfe zu
leisten.
Einige Beispiele:
•
Der Maurermeister Wilhelm Grimm aus
der Barbarossastraße bot seiner
Nachbarin, der Jüdin Senni Katz, seinen
Keller als Versteck an.
•
Die Familien R. und H. setzten sich bei
den Novemberpogromen für ihre
jüdischen Nachbarn ein.
•
Familie Schneider: Großvater und Vater
halfen Verfolgten und Gedemütigten in
der Pogromnacht.
•
Polizeimeister Friedrich Caspary
•
Pfarrer Karl Wessendorft
Pfarrer Karl Wessendorft
Das Foto ist - wie das auf Seite 2´- dem Archiv
der Ev. Kirchengemeinde Bergen-Enkheim
entnommen.
Weitere Dokumente zu Pfarrer Wessendorft finden
Sie unter der Rubrik “Wessendorft“
dieser Homepage: LINK
Querverweis:
LINK zu Ausführungen von Helmut Ulshöfer über
das Engagement von Pfarrer Wessendorft in dem
Kapitel „Gegen das Vergessen - Erinnern für die
Zukunft“ dieser Homepage
LINK zur Dokumentation: Pfarrer und Dekan Karl
Wessendorft. Ein „alter Löwe der Bekennenden
Kirche“ setzt Zeichen gegen das vergessen
Grabstein auf dem Berger Friedhof
Foto: Ev. Kirchengemeinde
Initiative Stolpersteine Bergen-Enkheim
Frankfurt am Main
Lichter in einer dunklen Zeit: Karl Wessendorft